
Im Februar 2024 wurden wir nach einem Talk auf dem Winterkongress der Digitalen Gesellschaft von zwei Organisatoren des HackThePromise Festival in Basel angesprochen. Wir wurden gefragt, ob wir daran interessiert wären, die Demoszene auf ihrem Festival zu präsentieren, und vielleicht sogar sozialkritische Themen durch die Linse der Demoscene-Releases anzusprechen?
Was für eine wundervolle Herausforderung – herausgekommen ist unter anderem PROW:ESSE. Eine Ausstellung die versucht zu ergründen, wie sich Geschlechterrollen auf den Zugang zur Digitalkunst, digitalem Handwerk und ihren Communities ausgewirkt haben.
Interessiert, den Kunstschaffenden von PROW:ESSE eine Plattform zu bieten?
Die Demoszene ist eine der ältesten digitalen Kulturen, und erst in den letzten Jahren von den UNESCO-Chapters in Finnland, Polen, Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz als Kulturerbe anerkannt worden. Dank ihrer Wurzeln in den frühen 1980ern, ihrer Hochphase in den frühen 90ern, und dem neuen Aufwind der späten 2010er, ist sie eine Fundgrube für die persönlichen Geschichten und Erfahrungen über die letzten 40 Jahre, in denen Computer und digitale Kreativität unser berufliches und privates Leben revolutioniert haben.
Die Demoszene ist aber nicht immun gegen systemische Diskriminierung und Ausgrenzung: Wie die Mehrheit der Tech-Communities, ist sie eine männerlastige Angelegenheit. Schätzungen ordnen den Anteil nicht-männlich präsentierender Mitglieder auf etwa 10-20% ein, mit einem deutlich höheren Anteil in den Altersgruppen unter 35.
Was ist also passiert? Sind es die Verhaltensweisen, die von männlichen Teenagern in den 80er und 90er Jahren geprägt wurden? Oder die TV-Werbung, die stets nur Jungen und Männer vor Computern und Videospielen gezeigt hat? Eltern und Lehrkräfte, die jahrzehntelang Mädchen demotiviert haben, eine Karriere in MINT-Feldern zu verfolgen? War es der Sexismus in der akademischen Welt und Tech-Industrie, welche die Errungenschaften von Programmierenden und Mathematik-Fachleuten aus Minderheitsgruppen versteckt haben? Die Errungendschaften, die erst jetzt durch Filme wie “Hidden Figures” wieder langsam ans Tageslicht gelangen?

In der Demoszene fällt es im Vergleich zu anderen ähnlichen Communities leicht, Zugang zu hochqualifizierten Technikfachkräften aus Gender-Minderheiten zu finden, und diese nach ihren Erfahrungen zu befragen, die sie auf dem Weg in Kreativberufe gemacht haben.
Die Ausstellung
So begannen wir, die Geschichten unserer cis- und trans*-Schwestern, sowie nonbinären Geschwister zu ergründen: In Interviews, langen Texten und Diskussionen mit sechs der grössten Talente, die die Demoszene aktuell zu bieten hat. Wir haben ihre Gedanken, Erfahrungen, Empfehlungen und Nachrichten gesammelt, die sie besonders Kunstschaffenden am Anfang ihrer Reise mit auf den Weg geben können.
Die Texte wurden neben Showcases ihrer Arbeit ausgestellt, die wir dank unserer Produktionspartnerin Screencom auf digitalen Totems und Displays ausstellen konnten. Alle Porträtierten teilen in dieser Ausstellung sehr persönliche Details ihres Lebens, nutzen aber auch die Chance, ihre Erfahrungen weiterzugeben:
Faith aka Sylvia Ritter ist professionelle Illustratorin, und verfügt über ein unglaubliches Talent, einzigartige Tierbilder zu zeichnen, in denen sie mit Licht, Farbe und Details spielt. Sie erzählt über ihre lange Suche nach sich selbst und ihrem perfekten Medium, die finanziellen Schwierigkeiten und damit einhergehenden Unsicherheiten für Illustrationsfachkräfte, und ihre Empfehlungen rund um Open Source Tools und Förderung.
Aldroid aka Alex Shaw, Fachperson für die Programmierung am Schnittpunkt zwischen Kunst und Technologie, aber auch initiativ für die Bildung kreativer Communities, spricht darüber, wie ein ewig rastloser Geist nur oberflächlich Kunst schaffen konnte, bis die Demoszene eines Tages doch dazu führt, dass die Sensationslust doch durch den eigenen Fortschritt und den anderer auf einmal tiefe Befriedigung bringt und ein Zuhause findet.

Luisa of Poo-Brain and Rabenauge, eine Tausendsassarin im Grafikdesign von ANSI-Art über Pixel Grafik bis hin zu 3D Modelling und Animation. Sie lässt mehr als 20 Jahre an Erfahrungen revue passieren. Sie spricht darüber, wie sie immer wieder frauenfeindliches und eingestaubtes Denkweisen durch ihren starken Willen und ihre Fähigkeiten überwinden konnte – sowohl als digitale Handwerkskünstlerin als auch in ihrem Studium.
Violet aka Violet Suchomski, deren Vielseitigkeit einem staundenden Publikum beweist, dass man Digitalkunst auf so ziemlich jeder Hardware auf diesem Planeten machen kann, geht mit den Versprechen der Universitäten ins Gericht, die gute Chancen auf dem Jobmarkt dank einem Digitalkunststudium versprechen. Sie spricht sich für mehr Unternehmensförderung besonders im kreativen Digitalsektor aus, damit wir Unternehmen und eine Welt aufbauen können, in der Menschen akzeptiert und in Sicherheit sein können.
Flopine aka Florine Fouquart, eine der wichtigsten Figuren der Shader Coding Community, Vorbild für viele Livecoder sowie eine der ersten, in einer Weller neuer, erfrischender und deutlich diverseren Kunstschaffenden, erzählt wie sie selbst davon überrascht wurde, wie ungewöhnlich es für das Publikum war, eine Frau in einem Programmierwettkampf zu sehen. Und wie viel von diesem Selbstverständnis daher rührt, dass sie in ihrem Leben von ihrer Familie und ihren Mitmenschen stets unterstützt wurde.
Alle Kunstwerke und Geschichten wurden dabei musikalisch durch die Soundtracks und Liveset-Mitschnitte von Lucid aka Lena Kilkka untermalt. Sie erschafft darin nicht nur Überschneidungen zwischen digitalem Sound Design und klassischen Instrumenten und Komposition, sondern erzählt in ihrem Text auch darüber, wie sich Herausforderungen durch Geschlechterrollen, Altersdiskriminierung in der Kulturförderung und das Leben mit einer chronischen Erkrankungen und körperlichen Einschränkungen gegenseitig verstärken können.

Eindrücke
Es war eine sehr intensive Erfahrung zu erleben, dass im Besonderen Kunstschaffende sich teilweise stundenlang Zeit genommen haben, die Texte und Kunstwerke in der Ausstellung vollständig in sich aufzunehmen, zu verarbeiten. Mehr als einmal durften wir erleben, wie Menschen mehrfach wieder zurückgekommen sind um ein weiteres Mal in den Texten, der Musik und der Kunst zu versinken. Oft haben wir erleben dürfen, wie die Texte Menschen berührt haben, sie sich verstanden, gehört und bestärkt gefühlt haben.
Von so viel Zuspruch hätten wir kaum zu träumen gewagt, und wir sind allen sechs Kunstschaffenden dankbar, dass sie uns erlaubt haben, so intime und einzigartige Perspektiven teilen zu dürfen.
Während es auf dem Festival selbst dank der fantastischen Live Acts, etwa 500 Gästen, den vielen Kunstinstallationen und Talks zum Thema Datenschutz und Netzpolitik lebhaft zuging, war der Ausstellungsraum mit PROW:ESSE für viele ein Rückzugsort zum Nachdenken und -fühlen, und um mehr über die Demoszene, ihre Tools und Plattformen zu erfahren.

Besonders im Kontext des Festival-Themes fact/fake/fiction und den vielen Ausstellungsstücken, die Derivate-Tools wie Midjourney, DALL-E oder ChatGPT nutzten oder thematisierten, haben wir uns besonders über die Möglichkeit gefreut handgemachte Digitalkunst und die dahinterstehenden Menschen präsentieren zu können.

Was bleibt und wie weiter?
Wir natürlich insbesondere dem HackThePromise-Team sehr dankbar, dass sie weiterhin und explizit eine Plattform für Kunsthandwerk im Digitalen bieten.
Bei uns haben sich durch das Festival einige Gedanken und Sichtweisen verändert:
Mit der Flut an Fake-Bildern, dem millionenfachen Diebstahl von geschützten Kreativarbeiten durch Scraping, irreführenden kommerziellen Trends wie NFTs oder dem aktuellen «KI»-Hype, bleiben nur wenige offene und allen zugängliche Kulturräume, die echte künstlerische Teilhabe, Lernen und Technikverständnis für alle anbieten.
Die Demoszene mag dafür eine der am besten geeigneten Kulturen sein: Unsere Demoparties stehen allen offenen, jede Person kann in unseren «Compos» mitmachen, und ist in unserer Community mehr als willkommen.
Diese Ausstellung wäre allerdings ohne Spenden, Mitgliederbeiträge und helfende Hände nicht möglich gewesen: Als wir eine E-Mail an Screencom, einer Firma für Digitalbeschilderungen in Luzern, geschrieben haben, war es fast mehr aus Neugierde. Wir waren uns recht sicher, dass wir uns nicht leisten könnten, mit ihnen zu arbeiten. Tatsächlich war Screencom nicht nur sehr interessiert was wir als Demoszene so anstellen, sondern waren auch begeistert von der Idee, Minderheiten in Tech sichtbarer zu machen – ein Anliegen, dass auch ihnen selbst sehr am Herzen liegt. So stellten sie uns nicht nur die hochwertigen Digitaldisplays, die in den Bildern zu sehen sind, sondern packten auch rund um die Logistik und im Troubleshooting sehr hilfsbereit mit an.
Wir dürfen zugeben: nach 20 Jahren Demoparty-Organizing mit selbstgebauten Lösungen war es schon eine besondere Freude, mit einem Content-Management-System zu arbeiten, dass zwar stark auf Nutzungsfreundlichkeit für nicht-technisches Personal ausgelegt ist, neugierige Klicks tiefer in die Menüoptionen aber mit jeder Menge Möglichkeiten zum Customizing belohnt. (Nichts für ungut, Partymeister und Wuhu. Wir lieben euch – und haben vielleicht ein paar neue Feature-Ideen. <3)
Screencom war für uns mehr als nur eine Partnerin, sondern Teil des Teams – wir hoffen, dass wir bald wieder miteinander arbeiten können. Vielen, vielen lieben Dank!
